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per aspera ad astra

hanau ad astra

15 | 09 | 2008
Hanau fliegt zu den Sternen
Schneller, höher, weiter - im olympischen Jahr 2008 wurden viele Rekorde gebrochen und Grenzen verschoben. Doch Leistungsexplosionen gab es  nicht nur im obskuren Spitzensport. Auch seit Dornröschens Zeiten schlummernde Gemeinden wie z.B. Hanau sprangen, von langem Schlaf erquickt und voller Tatendrang, vom Ruhelager. Wahrlich märchenhaft: Was in der Kinzigstadt bisher unmöglich schien, wird jetzt mit Power angegangen. Wo jahrzehntelang endlos diskutiert wurde, wird nun scheuklappenfrei gedacht.
Schluß ist mit den kleinmütigen Ideen der vielen verschlissenen Bauräte und der dogmatischen Freiheitsplatz-Oligarchen - jetzt präsentiert Hanau die Große Lösung und wagt den Sprung über den eigenen Schatten. In einem landes-, europa-, (warum nicht gleich: weltweit?) einzigartigen „wettbewerblichen Dialog“ soll „das Neue Hanau“ entwickelt werden.
Da geht es nicht mehr um die Verlegung einer denkmalgeschützten Bushaltestelle auf dem Freiheitsplatz oder die Optimierung von Parkplatzkontrollen in der Innenstadt. Das war Kleinkram, das war gestern. Die Chefdenker im Rathaus haben endlich die Courage, Weichen zu stellen und das Steuer für eine Fahrt ins Ungewisse zu übernehmen. Vergessen sind die Bedenken und Einwände, auf geht’s zu den Sternen! Es war höchste Zeit, - worauf hätte man auch warten sollen? Nach über fünfzig Jahren Stillstand steht Hanau vor der radikalsten städtebaulichen Veränderung der Nachkriegszeit und wird praktisch neu erschaffen. Das ist mehr als ein zartes Facelifting, das ist ein Rundum-Update.
Hanau wagt sich mutig und ohne Netz auf ein weit gespanntes Seil hinaus und balanciert tapfer auf dem Grat zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Der heldenhafte Hanauer Braintrust im Rathaus braucht jetzt dicke Schulterpolster, denn das große Aufräumen in der Innenstadt wird nicht ohne Blessuren abgehen.
Ist es in der neuen Zeit der großen Denke überhaupt noch statthaft, schon wieder nach einer  aktuellen Positionsbestimmung zu fragen?
Hanau ist hin- und hergerissen und mit völlig neuen, gewaltigen Herausforderungen konfrontiert. Was ist und wo steht „Hanau“ überhaupt?
Das alte Zentrum um Markt- und Freiheitsplatz verliert mehr und mehr seinen alleinigen Status. Schwerpunkte verschieben sich. Wo sich vor einigen Jahren noch Fuchs und Igel Gutenacht gesagt und Industrien des vergangenen Jahrhunderts Dampf abgelassen haben, entstehen neue Quartiere. Große Einkaufszentren gehen rund um die Innenstadt in Stellung. Moderne und attraktive Wohnprojekte locken kaufkräftige Bürger ins neue Eigenheim am Stadtrand oder gleich in die Stadtteile.
Die Folgen für die Innenstadt sind absehbar: Ein zerbröselndes Zentrum, in dem immer weniger Menschen wohnen, die sich aktiv am städtischen Leben beteiligen, hat keine große Zukunft.
Es wäre fatal, wenn der große Wurf mißlingt und sich das geplante Hanauer „Fünf-Plätze-Projekt“ in der Ansiedlung von „Event“-Kneipen und Popcorn-Kinos erschöpft. Wird es in diesem eher eindimensionalen Umfeld gelingen, die so sehnlichst gewünschte „Brüder-Grimm-Kultur“ reibungsfrei zu integrieren? Oder wird die alte City in Zukunft auf Dauer künstlich ernährt werden müssen?
Wir Großauheimer könnten uns bei all der Aufregung gelassen zurücklehnen und die Köpfe zählen, die bei den absehbaren neuen Hanauer Krawallen in den Main rollen werden. Auheim fliegt nicht zu den Sternen, sondern bleibt am Boden. Ob mit beiden Beinen fest, oder gefesselt - das ist allerdings die Frage. Wie Aschenputtel träumt mancher Großauheimer nicht nur von glorreicher Vergangenheit, sondern auch von goldener Zukunft. Unsere amerikanischen Freunde und Besatzer hinterließen in Großauheim und Wolfgang eine komplette Stadt. Mit bezugsfertigen Wohnflächen, kompletten Schulen und modernsten Sportanlagen. Alles intakt und dazu besenrein. Umgeben von ausgedehnten Wäldern und jeder Menge Natur. Urplötzlich ist Hanau innerhalb seiner Grenzen praktisch um ca. ein Fünftel größer geworden.
Die Industrie hat bereits Witterung aufgenommen und beginnt, z.B. im Industriepark Wolfgang und den umliegenden Konversionsflächen zu investieren und hunderte neuer Arbeitsplätze zu schaffen. Nun gilt es, unsere Stadt den dort beschäftigten, bisher Hanau-fremden Menschen und ihren Familien schmackhaft zu machen. Auf dem riesigen Großauheim-Wolfgänger Gebiet könnte ein neues, modernes Stadtzentrum entstehen. Allerdings müßten dazu die derzeit aktuellen planerischen Schwerpunkte gewaltig verschoben werden.
Man stelle sich einmal einen emotionslosen Stadtplaner vor, der den Hanauern rät, die Innenstadt samt Marktplatz und Golschmiedehaus (allerdings ohne Bausünden und Schmuddelecken) abzutragen, auf dem ehemaligen Großauheimer Exerzierplatz originalgetreu wieder aufzubauen und die Argonner Kasernen drumherum mit hochwertigen neuen Wohnprojekten zu beleben. Da wäre was los!
Nun, den Aschenputteln dieser Welt kann man die Träume nicht nehmen. Und zwischen großem Denken und großem Spinnen ist die Grenze fließend.
Vorerst bleibt es bei der Konzentration aller Kräfte auf die problematische Innenstadt. Hoffentlich geht das alles gut; in ein paar Jahren sind wir schlauer. Eins steht fest: viele der Sterne, zu denen wir in der Nacht so sehnsüchtig aufschauen, sind bereits vor Millionen Jahren explodiert und nur noch schöner Schein. => zurück zur auswahl

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